OZ   |  Mittwoch, 29. April 2009  |  Kultur

Rostock ehrt heute seinen Sohn Walter Kempowski

Rostock/Bremen (dpa/epd) Mit der feierlichen Umbenennung einer Straße im Stadthafen läutet Rostock heute das bundesweite Gedenken an Walter Kempowski ein. Am
heutigen 80. Geburtstag des im Herbst 2007 an Krebs verstorbenen Schriftstellers soll ein Abschnitt des Warnow-Ufers in „Kempowski-Ufer“ umbenannt werden. An der Zeremonie mit
Rostocks OB Roland Methling nimmt auch Kempowskis Witwe Hildegard teil. Die Feier gilt als Auftakt für zahlreiche Gedenkveranstaltungen in ganz Deutschland.
Noch kurz vor seinem Tod hatte Walter Kempowski verfügt, dass zu seinem 80. Geburtstag postum sein Gedichtzyklus „Langmut“ erscheinen solle. Gedichte voll Einsamkeit und Verzweiflung, Hoffnung und Sehnsucht sind der Schlussakkord im Schaffen des unter Kritikern umstrittenen Schriftstellers. Als Chronist der Nachkriegsgeschichte gehört er zu den meistgelesenen deutschen Gegenwartsautoren.
Geboren wurde Kempowski am 29. April 1929 in Rostock als Sohn eines Schiffsmaklers und Reeders. Der Krieg warf ihn aus der Bahn. Von einem sowjetischen Militärtribunal verurteilt, musste Kempowski acht Jahre als vermeintlicher Spion im sächsischen Bautzen hinter Gittern sitzen.
Es war eine Zeit, die für den Bürgersohn zum Trauma seines Lebens wurde und Stoff für sein erstes Buch „Im Block“ lieferte. Nach Entlassung aus dem Gefängnis siedelte er 1956 nach Westdeutschland über, studierte in Göttingen Pädagogik, ging als Lehrer aufs Land. Seit Mitte der 60er arbeitete er akribisch an der auf neun Bände ausgelegten „Deutschen Chronik“, die er 1971 mit dem Roman „Tadellöser & Wolff“ eröffnete.
Der Titel stand schon wenig später auf der Bestsellerliste des „Spiegel“, wurde verfilmt und mehr als 500 000 Mal verkauft. Eine ganze Generation übernahm die scheinbar unbeschwerten Sprüche der Tadellöser. „Ansage mir frisch“, „Kinder, wie isses nun bloß möglich“ wurden geflügelte Wörter.
Ein Teil der Literaturkritik verdächtigte Kempowski, er wolle mit seinen Romanen die Nazi-Zeit verharmlosen. Der Autor fühlte sich missverstanden. Er hielt nichts davon, sich anzubiedern und schrieb: „Ich bin nicht links, ich bin nicht rechts. Ich bin immer geradeaus.“ So markierte „Tadellöser & Wolff“ nicht nur den literarischen Durchbruch, es lieferte erstes Material für ein Zerrbild, das einige Kritiker vom leidenschaftlichen Schriftsteller entwarfen.
Viele sahen in ihm einen kauzigen Außenseiter, der irgendwie drollig und detailbesessen, mehr Buchhalter als Epiker, in einer manischen Sammelwut an einer Chronik der deutschen Alltagsgeschichte des 20. Jahrhunderts arbeitete. „Er schuf sich ständig Feinde, ohne sich anderswo viele Freunde zu machen“, schreibt sein langjähriger Begleiter Gerhard Henschel.
Kempowski, der die Alt-68er so hasste wie die Kommunisten, erhielt zwar zahlreiche Auszeichnungen, etwa das Große Bundesverdienstkreuz. Aber die ganz große Anerkennung blieb ihm nach seiner eigenen Wahrnehmung versagt. „Ich habe mal zehn Jahre lang, in meiner besten Zeit, keinen Literaturpreis bekommen, das geht doch eigentlich gar nicht.“ Seiner „Deutschen Chronik“ ließ Kempowski das zehnbändige „Echolot“ folgen. Das „kollektive Tagebuch“ über die ersten 60 Tage des Jahres 1943 war eine Komposition aus Tagebüchern, Briefen, Memoiren, für die er international große Anerkennung bekam. Das Kempowski-Archiv in seiner Geburtsstadt Rostock will demnächst mit einer Veranstaltungsreihe die Lebensleistung des Bestseller-Autors würdigen.

Internet: www.kempowski.de
www.kempowski-archiv-rostock.de

 

OZ | Donnerstag, 30. April 2009  |  Hansestadt Rostock

Zum 80. gab’s drei Stelen

Ein Uferabschnitt erinnert seit gestern an Rostocks Ehrenbürger Walter Kempowski. Genauso wie drei stählerne Stelen.

Stadthafen Irgendwie war er doch dabei. Im Urteil des Oberbürgermeisters, dass sich Walter Kempowski die Jazzmusik zu seinem Festakt auch selbst ausgesucht hätte. In den Erinnerungen der rund hundert Gäste – darunter zwei ehemalige Oberbürgermeister und Weggefährten des Schriftstellers. Vor allem aber in den Worten seiner Frau.
Ihr verstorbener Mann hätte bestimmt einen seiner „typischen Kempowski-Scherze“ gemacht, erzählte Hildegard Kempowski vor dem Lokschuppen. „Damit kann ich leider nicht dienen.“ Sie sei sich aber sicher, dass er sich über die Ehrung seiner Geburtsstadt sehr gefreut hätte „und dass er mit dabei ist – sonst könnte es mir nicht so gut gehen“.
Walter Kempowski habe Rostock mit seinen Romanen einem Millionenpublikum bekannt gemacht und der Stadt ein literarisches Denkmal gesetzt, sagte Oberbürgermeister Roland Methling (parteilos). An seinem 80. Geburtstag revanchierte sich die Hansestadt – mit drei stählernen Stelen. Spitz und dreieckig wie die Splitter, aus denen Kempowski sein Werk zusammengesetzt habe, erklärte der Greifswalder Künstler Geert Maciejewski.
Als Ensemble erinnere das Denkmal an Kempowskis zehnbändiges Werk „Das Echolot“, für das er international große Anerkennung erhalten hat. Die höchste Stele, die Hildegard Kempowski enthüllte, sei die Stimme, deren Echo von den kleineren zurückgeworfen werde, sagte Maciejewski. „Sehr schön“, lobte Methling und glaubte zu wissen, dass der Geehrte selbst „länger überlegt hätte“, aber zu dem Schluss gekommen wäre: „Ja, so kann man das auch machen.“ An der Diskussion über die beiden neuen Straßenschilder vor den Silos und am Christinenhafen hätte sich der Ehrenbürger sicher gern beteiligt, sagte Methling. „Kempowski-Ufer“ mit oder ohne Bindestrich, nach alter oder neuer Rechtschreibung, nach Duden-Regel vor oder nach Erscheinen seiner Romane. Fest stehe, dass Kempowski „überraschende und doch folgerichtige Argumente gehabt hätte“.
Die Wahl des Ortes wurde indes einstimmig akzeptiert. Kein anderer Platz sei so mit der Stadtentwicklung verbunden wie der Stadthafen, erklärte Methling. „Hier ist er doch auch immer spazieren gegangen“, sagte Hannelore Stöckigt (73), die erst aus Kempowskis Büchern erfuhr, „dass ich mal im gleichen Haus wie er – in der Augustenstraße 90 – gewohnt habe“. Hildegard Kempowski freute sich, „dass keine große Straße umbenannt wurde, was vielleicht viele Leute verärgert hätte“. Der Uferabschnitt sei mehr „wie ein lieblicher Gedanke“. Im Unterschied zu früher nehme sie sich jetzt auch „die Zeit, herumzuwandern und neue Straßen zu erkunden“.Das Kempowski-Ufer werde sie jedenfalls ganz genau abschreiten, versprach Hildegard Kempowski. „Mal sehen, ob ich 550 Schritte brauche – so viele Regalmeter wie das Kempowski-Archiv in Berlin hat“.

ANNE SCHEMANN


Walter Kempowski wurde in
Rostock geboren. Foto: ddp





Lesung im Festsaal des Rathauses: Schauspielerin Annett Renneberger las vor 170 Zuhörern aus Kempowskis Tagebüchern. Der Rostocker Pianist Steffen Graewer spielte dazu.

Foto: Hartmut Klonowski


Hildegard Kempowski durfte die größte Denkmal-Stele für ihren verstorbenen Mann Walter enthüllen. Oberbürgermeister Roland Methling half beim Ziehen.

Foto: Ove Arscholl